Tag: Kollektives Gedächtnis

  • Projekt, Hadas Tapouchi

    Hadas Tapouchis Fotografien zeigen die alltägliche Stadtlandschaft, banale Orte des Wohnens und Arbeitens, des Lernens, der Freizeit und Erholung. Erst die Kontextualisierung mit historischen Informationen macht die Geschichte der jeweiligen Lokalitäten offensichtlich und verändert den Blick: Es handelt sich um Orte, an denen während der NS-Zeit Zwangsarbeiter*innen untergebracht waren.

    Tapouchis fotografisches Mapping setzt sich mit der Normalisierung von historischen Orten im heutigen Stadtraum auseinander. Ihre Bilder aktualisieren die historische Distanz und vermitteln auf diese Weise zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

    Zwangsarbeiter*innen waren insbesondere während des Zweiten Weltkrieges im Straßenbild allgegenwärtig: Auf ihrem täglichen Weg zur Arbeitsstätte ebenso wie im öffentlichen Raum, etwa beim Einsatz im Straßenbau oder in städtischen Betrieben. Um Zwangsarbeiter*innen zugeteilt zu bekommen, mussten Unternehmen nicht nur ihren Bedarf anmelden, sondern auch eine Unterkunft bereitstellen. Aus diesem Grund errichteten gerade größere Firmen eigene Lager. Öffentliche Träger wie die Stadt München richteten Sammelunterkünfte ein und vermieteten Unterkunftsplätze an kleinere Unternehmen.

    Tapouchi interessiert sich für die Potenziale eines kollektiven Gedächtnisses, das sich der Marginalisierung und Unsichtbarkeit von Geschichte im öffentlichen Raum widersetzt. Durch eine „Praxis der Erinnerung“ („Memory Practice“) erkundet sie ehemalige Raumordnungen und deren Machtverhältnisse – und fragt, wie die Erinnerung an die Gewaltgeschichte der Zwangsarbeit durch Gentrifizierung und Wertschöpfung überschrieben wurde. Ihr Projekt macht die Geschichte wahrnehmbar und bringt sie in die räumliche Nähe derer, die sich heute erinnern.

  • Projekt, Alex Rühle

    Mit dem Sturz des italienischen Diktators Benito Mussolini im Juli 1943 kam der sogenannte Stahlpakt zwischen dem faschistischen Italien und Nazideutschland zu einem Ende. Das Königreich Italien schloss am 8.September 1943 einen Waffenstillstand mit den Alliierten und erklärte Deutschland den Krieg. Die italienischen Soldaten, die zuvor an der Seite der Deutschen kämpften, wurden mit diesem Tag zu Feinden des NS-Regimes. Jene, die sich in den von den Deutschen kontrollierten Gebieten befanden, wurden festgenommen. Diejenige, die sich weigerten, fortan auf Seiten Nazideutschlands zu kämpfen, wurden zu Kriegsgefangenen und als Zwangsarbeiter ausgebeutet.

    Nach der Befreiung kehrten die ehemaligen “Italienischen Militärinternierten” in ein komplett verändertes Italien zurück. Ihre ambivalente Geschichte konnte nur schwer in das hegemoniale Nachkriegsnarrativ Italiens integriert werden. Viele empfanden ein tiefes Gefühl der Isolierung und sprachen fortan nie mehr über ihre persönliche Erfahrungen. Heute leben kaum noch Zeitzeugen; und für ihre Familien stellt sich die Zeit ihrer Väter in Deutschland wie eine große Lebenslücke dar. Die Reportage fragt nach der Bedeutung der historischen Erfahrungen im familiären wie transnationalen kollektiven Gedächtnis.

    Im Herbst 2021 reisten der Journalist Alex Rühle, der Historiker Paul-Moritz Rabe und die Fotografin Alessandra Schellnegger durch Norditalien. Sie machten sich auf die Suche nach den Erinnerungen ehemaliger Militärangehöriger, die während des Zweiten Weltkriegs als Kriegsgefangene Zwangsarbeit in München leisten mussten. Sie trafen auf Söhne und Töchter, die insbesondere von Verlust und Vergessenheit berichteten.

    Die Übersetzung der Gespräche übernahm Julia Rader. Für die Koordination danken wir Federica Dalla Pria.