Vom historischen Ort in den digitalen Raum
„Departure Neuaubing“ begleitet die Entstehung eines neuen Erinnerungsorts im Münchner Stadtteil Neuaubing. In der heutigen Ehrenbürgstraße 9, befinden sich acht Baracken eines ehemaligen Zwangsarbeiter*innenlagers, das 1942 von der Reichsbahn errichtet wurde. Bis zum Kriegsende 1945 wurden hier bis zu 1.000 Zwangsarbeiter*innen untergebracht, die aus verschiedenen Ländern Europas, insbesondere der Sowjetunion, Polen und Italien, verschleppt und zur Arbeit beim naheliegenden Ausbesserungswerk der Reichsbahn (RAW) gezwungen wurden. Bis 2025 wird hier ein Ausstellungs- und Erinnerungsort zur NS-Zwangsarbeit und ihrer Auswirkungen bis in die Gegenwart entstehen.
Die interaktive Web-App „Departure Neuaubing“ ermöglicht multiperspektivische Zugänge zur Geschichte, lädt dazu ein, das Wissen über die Zwangsarbeit zu erweitern, eigene Beiträge zu verfassen und sich über die Bedeutung der Vergangenheit für heute auszutauschen.
„Departure Neuaubing“ nimmt insbesondere die internationalen Zusammenhänge der Geschichte in den Fokus und entwirft erzählerische und künstlerische Formate, die sich mit der NS-Zwangsarbeit, ihren Auswirkungen und Kontinuitäten bis in die Gegenwart auseinandersetzen. Im Zusammenwirken von Kunst und historischem Wissen stellen sich Fragen nach dem Umgang mit Geschichte, nach Verdrängen, verspäteter Erinnerung sowie der Bedeutung historischer Erfahrungen für das heutige Europa.

Partizipative Erinnerung
Gemeinsam mit Künstler*innen, Game-Designer*innen, Journalist*innen und Medienpädagog*innen sind vielschichtige Auseinandersetzungen und multimediale Zugänge entstanden, die das historische Wissen in Beziehung zu gegenwärtigen Lebensrealitäten stellen. Die eigens für das Projekt entwickelten Arbeiten führen nach Rotterdam, ins ukrainische Jewmynka, in Dörfer und Kleinstädte in Norditalien, aber auch an Orte in und um München.
Über Foto- und Textbeiträge könnt auch ihr das digitale Archiv von „Departure Neuaubing“ erweitern und über unterschiedlichste Aspekte der Geschichte und ihrer Nachwirkungen diskutieren: Wie beeinflusst die Vergangenheit unsere Gegenwart? Wie seid ihr selbst in die Geschichte eingebettet? Wie kann Geschichte sichtbar und erfahrbar werden? Wie stellt ihr euch einen Erinnerungsort der Zukunft vor? Und was wird gebraucht, damit ein Erinnerungsort entsteht? Von wem und mit welchem Interesse wird Geschichte erzählt? Wie kann Erinnerung lebendig bleiben? Wo ist die Geschichte innerhalb der Stadt sichtbar? Welche Geschichten erzählen Zeugnisse, Objekte und Dokumente? Wie stellt sich unfreie Arbeit heute dar? Und wie hängen Arbeit und Migration gegenwärtig zusammen?
Diese und weitere Fragen möchten wir gemeinsam mit Euch erforschen. „Departure Neuaubing“ entwickelt sich durch Partizipation und Interaktion beständig fort und soll anregen, Erinnerung als einen aktiven Prozess zu verstehen. Das Projekt thematisiert, was geschehen ist, vergegenwärtigt Geschichte und schafft Räume der Auseinandersetzung.
Mehrstimmigkeit und Multiperspektivität von Erinnerung
„Departure Neuaubing“ ist ein Kunst- und Vermittlungsprojekt, das mit digitalen Mitteln die Geschichte der NS-Zwangsarbeit multiperspektivisch erzählt: als persönliche Erfahrungen und kollektive Geschichten, über nationale Narrative hinaus und innerhalb eines globalen Zusammenhangs.
Millionen von Menschen wurden in der NS-Zeit aus verschiedenen europäischen Ländern verschleppt und ausgebeutet. Anerkennung erhielt nur ein kleiner Teil und dies sehr spät. Zugleich blieben in Deutschland Strukturen aus der Zeit der NS-Zwangsarbeit erhalten, durch die sich ehemalige NS-Profiteur*innen und deren Nachkommen weiterhin bereicherten. Die Weiternutzung dieser materiellen Grundlagen begünstigte zudem den wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands in der Nachkriegszeit. An diesen komplexen historischen Zusammenhängen setzt „Departure Neuaubing“ an und richtet den Blick auf den Umgang mit der Vergangenheit im Nachkriegseuropa bis heute.

Die ersten sechs Projekte wurden gemeinsam mit den Künstler*innen Fabian Bechtle und Leon Kahane, Sima Dehgani, Hadas Tapouchi und Franz Wanner, den Spieledesigner*innen von Paintbucket Games, mit der Comiczeichnerin Barbara Yelin, dem Journalisten Alex Rühle (Süddeutsche Zeitung) und der Fotografin Alessandra Schnellnegger realisiert.
Neben den künstlerischen Arbeiten und anderen Beiträgen stehen ein Glossar zum Thema NS-Zwangsarbeit, eine historische Topographie der Stadt sowie Biografien und Ausschnitte aus Zeitzeug*innen-Interviews zur Verfügung.
Die unterschiedlichen Zugänge nutzen dokumentarische wie affektive Mittel und spiegeln die Mehrstimmigkeit von Erinnerung wider. Sie nutzen Mittel der Verfremdung, um einzelne Aspekte herauszustellen und gängige Narrative zu hinterfragen. Zugleich verdeutlichen sie, dass die Erinnerung an die gewaltvolle Geschichte der NS-Herrschaft von den sozialen und politischen Verhältnissen der Gegenwart abhängt und es Akteur*innen braucht, die sich aktiv mit der Vergangenheit auseinandersetzen.
Erinnerung stellt sich dabei als Prozess dar, bei dem Erfahrungen ein- und ausgeschlossen werden, als Auseinandersetzung mit verschiedenen Narrativen und Verhandlung von Deutungsmustern. Historisches Wissen prägt die gesellschaftliche Urteilskraft und schafft Raum für die Verhandlung der Frage, wie wir in einer pluralistischen Gesellschaft zusammenleben möchten.
„Departure Neuaubing“ setzt die Geschichte der Zwangsarbeit auf unterschiedliche Weise in Beziehung zur Gegenwart und lädt zur Partizipation ein. Zu diesem Zweck wurde gemeinsam mit mediale pfade ein medienpädagogisches Konzept zur Web-App entwickelt.
Als Erinnerungsprojekt im digitalen Raum, das nicht abgeschlossen ist, wird die Webseite gemeinsam aktualisiert und ergänzt. Vermittlungsangebote an verschiedenen Orten ermöglichen Begegnung und Austausch. Mit unterschiedlichen Medien und Methoden sucht „Departure Neuaubing“ nach neuen, vielfältigen Formen der Erinnerung innerhalb eines gemeinsamen europäischen Raums und versteht diese Suche als einen aktiven und kollektiven Prozess.
Medienpädagogischer Ansatz
Gestalterisches Konzept
Über das Projekt
Departure Neuaubing. Europäische Geschichten der Zwangsarbeit
Ein digitales Geschichtsprojekt des NS-Dokumentationszentrums München
Team
Direktorin
Mirjam Zadoff
Konzeption
Juliane Bischoff, Paul-Moritz Rabe
Projektleitung
Juliane Bischoff
Wissenschaftliche Mitarbeit
Andreas Eichmüller, Angela Hermann, Kristina Tolok
Projektkoordination
Jana Kreutzer
Teilnehmende
Fabian Bechtle & Leon Kahane, Sima Dehgani, Alex Rühle & Alessandra Schellnegger (Süddeutsche Zeitung), Hadas Tapouchi, Franz Wanner, Paintbucket Games (Mona Brandt, Jörg Friedrich, Vivian Köhler, Dominik Schott, Sebastian Schulz, Kimberly Thalmeier, Jan-Dirk Verbeek, Jonathan Witt) & Barbara Yelin
Webdesign und Grafikdesign
Robert Preusse, Stefanie Rau (operative.space)
Medienpädagogische Konzeption und Beratung
Leon Behn, Robert Behrendt, Daniel Seitz (mediale pfade)
Texte
Juliane Bischoff, Paul-Moritz Rabe, Kristina Tolok
Korrektorat
Denis Heuring, Anke Hoffsten, Dirk Riedel
Vermittlung
Nathalie Jacobsen, Martin Zehetmayr
Kommunikation
Kirstin Frieden, Ilona Holzmeier
Übersetzung
Barbara Baroni (Italienisch), Liubov Danylenko (Ukrainisch), Melanie Newton, KERN Sprachendienste (Englisch)
Programmmanagement Launch
Jonas Peter
Ausstellungsarchitektur NS-Dokumentationszentrum München
Janina Sieber
Technik
Ibrahim Özcan, Joseph Köttl

„Departure Neuaubing“ wurde entwickelt im Rahmen von „dive in. Programm für digitale Interaktionen“ der Kulturstiftung des Bundes, gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) im Programm „NEUSTART KULTUR“.