
MIND THE MEMORY GAP
Mind the Memory Gap
Video, 4K, 13:30 Min., engl. Ut., D. 2022
Beschreibung
Eine beliebte Strategie vieler deutscher Traditionsunternehmen, ihre Rolle im NS-Regime zu behandeln, bestand jahrzehntelang in vehementem Verschweigen. Seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts gehört es im Sinne einer gängigen Erinnerungskultur zur Standard-PR, die firmeneigene NS-Vergangenheit durch bezahlte Auftragsstudien abzuhandeln. Mit treffenden Auslassungen und in abstrahierender Rhetorik lassen sich selbst kapitale Verbrechen geschäftsverträglich vermitteln. Wie kann der Sektor des History Marketings zu neuen Formen finden?
Im Film „Mind the Memory Gap“ hat die Communications Director einer Rüstungsfirma eine Idee: Ein Themenpark der Erinnerung soll historische Kommunikation zukunftsorientiert gestalten, jenseits aller Faktenlast und mit einem Erinnerungsdesign speziell für Deutschland. Eine als Tour Guide engagierte Darstellerin (gespielt von Julia Franz Richter) führt durch bereinigte Erinnerungslandschaften und präsentiert auch die massenhaft praktizierte Ausbeutung durch Zwangsarbeit im erlebnisreichen Informationsflow einer bewegten Firmengeschichte: „Die Unternehmensführung stand dem politischen Klima der Zeit sehr distanziert gegenüber. Die Situation ließ aber nichts anderes zu, als dem Druck nachzugeben und sich für das Geschäftswohl aufzuopfern – sonst hätte die Firma nicht überlebt.“
Neuaubing
Am Ende der NS-Diktatur bestand die Bevölkerung Münchens zu einem Viertel aus Zwangsarbeitenden. Im Stadtteil Neuaubing war ihre Anzahl höher als die der Einheimischen. Von den vielen Lagern des Viertels ist heute nur das der Reichsbahn in seiner Bausubstanz erhalten. Gegenwärtig wird dort ein offizieller Erinnerungsort eingerichtet, der 2025 als Dependance des NS-Dokumentationszentrums München eröffnen soll. Neben der Reichsbahn beteiligten sich in Neuaubing auch die Dornier-Werke an der Ausbeutung. In ihrem dort ansässigen Werk nutzte die Flugzeugfirma die Arbeitskraft von mindestens 2000 Menschen, die aus Frankreich, Italien und anderen Ländern stammten, darunter auch Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau.[1] Von 1940 bis 1945 wurden sie in mehreren Lagern nahe der Produktionsstätte festgehalten und zur Herstellung von Kampfflugzeugen für die Wehrmacht eingesetzt. Nach dem zweiten Weltkrieg expandierte Dornier zunächst weiter und wurde später von Daimler, EADS und Airbus übernommen. Der Standort der Dornier-Werke in Neuaubing wurde 1995 geschlossen.
[1] Vgl. Paul-Moritz Rabe: Das RAW-Lager Neuaubing und seine Insassen. In: Winfried Nerdinger (Hg): Zwangsarbeit in München. Das Lager der Reichsbahn in Neuaubing, Berlin 2018, S. 132.
From Camp to Campus
Video, HD, 10 Min., engl. Ut., D. 2019
Beschreibung
Der Film „From Camp to Campus“ setzt die Begriffe „Camp“ und „Campus“ in Beziehung:
„Ein Lager ist ein Ort der Aufbewahrung. Die Waren lagern außerhalb des Konsums, der sie einholt, wenn es Bedarf gibt. Ein Lager ist ein Ort der Haft. Arbeitskraft wird ausgebeutet, um Waren zu produzieren.“ Unter dem Einsatz von Zwangsarbeitenden installierte das NS-Regime in Ottobrunn 1940 eine „Luftfahrtforschungsanstalt“. Während die erhaltene Bausubstanz eines der damals eingerichteten Zwangsarbeitslager gegenwärtig unter Ausschluss der Öffentlichkeit entfernt wird, etabliert der Freistaat Bayern das Raumfahrtprogramm „Bavaria One“ am benachbarten Ludwig Bölkow Campus.
„Ein Campus ist ein Ort der akademischen Arbeit.“ In unmittelbarer Nähe des ehemaligen NS-Zwangsarbeitslagers bilden heute auf dem Gelände der früheren Luftfahrtforschungsanstalt in Ottobrunn mehrere Hochschulen und Konzerne einen Campus. 2013 wurde er nach Ludwig Bölkow benannt, der als Ingenieur Kampfflugzeuge für die Wehrmacht konstruierte. Ein Forschungsinhalt am Campus ist die militärisch eingesetzte Drohne Zephyr, die Airbus dort entwickelt.[1] Gleichzeitig gibt die Bayerische Staatsregierung an, dass am Ludwig Bölkow Campus weder Drohnen- noch Rüstungsprojekte existieren. Beide Angaben sind auf der Website des Bayerischen Landtags zu finden.[2]
[1] Vgl. Ministry of Defence: MOD buys third record-breaking UAV (Press release), 17.8.2016, Link [8.1.2022].
[2] Vgl. Bayerischer Landtag, Drucksache Nr. 17/12930 (Frage / Regierungsantwort 1.3, 4.1, 4.2, 5.1 u. 6) vom 4.11.2016 Link [8.1.2022].
Ottobrunn
Im Münchner Vorort Ottobrunn installierte das NS-Regime 1940 unter dem Einsatz von Zwangsarbeitenden ein Rüstungszentrum mit der Bezeichnung „Luftfahrtforschungsanstalt“.[2] Bis in die Gegenwart wird am gleichen Ort militärisch geforscht und produziert. Neben Siemens und iABG ist auch die Airbus Group Teil des Verbunds, die als größte Rüstungsfirma in Deutschland die militärische Luft- und Raumfahrttechnik der ehemaligen Dornier-Werke übernahm. Die Einbeziehung von Hochschulen wie der Technischen Universität München machte den Ort 2012 zu einem Campus. 2013 wurde er nach Ludwig Bölkow benannt, der sich während der NS-Zeit als Ingenieur an der Entwicklung von Rüstungstechnik für die Wehrmacht beteiligte. 1943 trug er maßgeblich zur Konstruktion des Jagdbombers Messerschmitt Me 262 bei, den die NS-Propaganda als Wunderwaffe bezeichnete.[3] In unmittelbarer Nähe des 70 Jahre später nach ihm benannten Campus befinden sich erhaltene Fundamente und Kellerräume eines zum Bau der „Luftfahrtforschungsanstalt“ angelegten Arbeitslagers. 2018 wurde das Gelände einem privaten Käufer überlassen, der das erklärte Ziel verfolgt, die Bausubstanz zu zerstören.[4] Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege äußert schriftlich die begründete Vermutung, dass es sich um Bodendenkmäler handelt, lässt im Zusammenwirken mit dem Landratsamt München und dem lokalen Bauausschuss deren Abriss aber zu. Während der Ludwig-Bölkow-Komplex seine NS-Geschichte auf diese Weise privat entsorgt, etabliert der Freistaat Bayern an gleicher Stelle das Raumfahrtprogramm „Bavaria One“.
[2] Vgl. Martin Wolf: Im Zwang für das Reich, Ottobrunn 1995. In: Stefan Plöchinger (Hg), Jürgen Bauer, Martin Wolf, Birgit Schrötter: Verdrängt? Vergessen? Verarbeitet?, 3. Auflage, 2001, S. 19-22.
[3] Vgl. Mathias Schulenburg: Vom Düsenjet zur Solarpanele, Deutschlandfunk, 30.06.2012, Link [7.12.2021].
[4] Vgl. Franz Wanner: Bereinigung I-II, in: Foes at the Edge of the Frame, Stephanie Weber (Hg.), Berlin 2020, S. 40-47.
Credits
Konzept und Realisation
Franz Wanner
Künstlerische Assistenz
Clara Flake
Wissenschaftliche Mitarbeit
Franziska Link
Der Film „From Camp to Campus“ entstand für die von Stephanie Weber kuratierte Ausstellung „After the Fact. Propaganda im 21. Jahrhundert“, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, 2017
Dank an
Mirjam Zadoff, Juliane Bischoff, Paul-Moritz Rabe, Angela Hermann, Kristina Tolok und, Andreas Eichmüller
NS-Dokumentationszentrum München
Besonderer Dank an
Janna Jung-Irrgang, Øystein Sørbye, Matthias Reichelt, Julia Franz Richter, Christoph Gurk, Stephanie Weber, Martina Oberprantacher, Mihriban Memet, Babylonia Constantinides, Andreas Menn, Laura Kansy, Lilli Pongratz, Annelie Boros, Neary Wach, Christoph Marischka, Renate Bayer, Martin Wolf